Nachhaltigkeit und Klimaschutz haben für Investoren, Fondsdienstleister und Immobiliengesellschaften eine erhebliche Bedeutung, nicht zuletzt durch die zunehmende Regulatorik und auch durch die gesetzten Klimaziele. Schließlich will die EU bis 2050 als erster Kontinent klimaneutral sein, Deutschland visiert die CO2-Neutralität bereits bis 2045 an. Insbesondere die Immobilienbranche trägt eine große Verantwortung, dass dieses Ziel erreicht wird. Denn momentan entfallen mehr als 30 Prozent der Treibhausgasemissionen und 40 Prozent des Energieverbrauchs in der EU auf Gebäude.
Vieles muss sich in der Immobilienbranche noch bewegen auf dem Weg zur Dekarbonisierung und komplexe Herausforderungen liegen vor uns. Das birgt allerdings auch die Chance zur Weiterentwicklung und dass innovative Prozesse sowie klimafreundliche Werkstoffe etabliert werden. Dabei gibt es große Potenziale, die genutzt werden können. Jedes einzelne Unternehmen kann dazu beitragen, Nachhaltigkeit voranzutreiben – durch verstärkten Umweltschutz, Energieeinsparung, Recycling, Angebote für Mitarbeiter bis hin zur Unterstützung der Entwicklung von nachhaltigen Produkten beziehungsweise von emissionsarmen Werkstoffen.
Unterschätztes Potenzial beim Bestand und Lebenszyklus einer Immobilie
Das größte Potenzial für Ressourcenschonung und Klimaschutzmaßnahmen schlummert ganz klar im Immobilienbestand. Es gibt in Deutschland etwa 22 Millionen Gebäude und ca. 60 Prozent davon sind aus energetischer Sicht als unzureichend einzustufen, so der Bundesverband energieeffiziente Gebäudehülle e. V.
Auch wird momentan noch stark unterschätzt, welches Potenzial für mehr Klimaschutz im gesamten Lebenszyklus einer Immobilie vorhanden ist. So lag der Fokus in der Vergangenheit auf dem Energieverbrauch im Betrieb – Nachhaltigkeit beziehungsweise ökologisches Bauen bezog sich fast ausschließlich auf die Energie-Optimierung. Aber dabei wurde verkannt, dass lediglich die Hälfte der CO2-Emissionen vom Betrieb eines Gebäudes kommt, die andere Hälfte fällt entlang anderer Stufen des Lebenszyklus an. Bereits wenn ein Gebäude in Betrieb genommen wird, ist schon mehr als die Hälfte der grauen Emission freigesetzt und in der Atmosphäre. Bei der Errichtung einer Immobilie sollten auch die Lieferketten hinsichtlich CO2-Emissionen hinterfragt werden, denn aufgrund langer Transportwege werden oftmals positive Effekte durch Klimaschutzmaßnahmen bei der Bauweise annulliert. Um das volle Potenzial von Ressourcenschonung und CO2-Einsparungen zu nutzen, muss man also weiterdenken; vieles kann durch die Reduzierung von klimaschädlichen Baustoffen getan werden. Auch deren Substituierung durch Abfallprodukte, die im Rahmen anderer Prozesse anfallen, gewinnen eine zunehmende Bedeutung zur Ressourcenschonung und Klimaschutz. Zum Beispiel wird bereits jetzt Schlacke aus der Stahlproduktion wiederverwendet oder auch Altbeton aus Abbrucharbeiten.
Es gibt viele Alternativen, die schon genutzt werden können bei den eingesetzten Materialien beziehungsweise beim Wiederverwenden von Baustoffen. Auch wird auf diesem Gebiet der Dekarbonisierung im gesamten Lebenszyklus im Bauwesen viel geforscht. Es bleibt abzuwarten, inwiefern sich Innovationen in der Praxis durchsetzen werden.
Herausforderungen liegen in der Datenverfügbarkeit und -vergleichbarkeit
Mit der Taxonomie hat die EU einen wichtigen Schritt unternommen, mehr Transparenz und Klarheit zu schaffen, was ökologisch nachhaltig ist. Das ist zweifellos eine wichtige Orientierung für Anleger bei Immobilieninvestments und lenkt Kapitalanlagen in nachhaltige Richtungen. Allerdings gibt es noch viele offene Fragen in der Auslegung der Verordnung und in der praktischen Umsetzung. Das macht es natürlich schwierig, mittel- und langfristige Strategien und Konzepte zu entwickeln. Umso wichtiger ist es, bereits jetzt Nachhaltigkeit in den gesamten ESG-Dimensionen in den Unternehmen zu verankern, um flexibel auf veränderte Anforderungen zu reagieren und neue Prozesse aufzusetzen. Denn die regulatorischen Vorgaben werden weiter zunehmen und auch die Nachfrage nach ESG-konformen Immobilien und Produkten dürfte weiter steigen.
Was aber momentan noch ein großes Problem darstellt, ist das Fehlen von einheitlichen Standards und europaweiten Regulierungen aus einem Guss. So sind die Beschaffung und Auswertung der für nachhaltige Immobilieninvestments erforderlichen Daten noch eine Hürde – vor allem länderübergreifend, auf Objektebene und über den gesamten Lebenszyklus einer Immobilie hinweg. Die Frage dabei ist: Was soll überhaupt gemessen werden, und vor allem wie? Einheitliche Daten und Wertedefinitionen für das jeweilige Objekt und Portfolio sind aber essenziell für nachhaltige Investments und eine Vergleichbarkeit wird für alle Marktteilnehmer immer relevanter.
Mit der Brancheninitiative „ESG Circle of Real Estate“ (ECORE) besteht die Chance, einen einheitlichen Standard in Europa zu etablieren. Ein Scoring-Standard, um Nachhaltigkeit in Immobilienportfolios transparent, messbar und vergleichbar zu machen, befindet sich gerade in der Pilotierungsphase. Der große Vorteil für die ganze Branche liegt darin, dass eine Normierung eingeführt wird, um europaweit die gleichen Definitionen und Messdaten für Immobilien zu schaffen. Damit sich dieses länderübergreifende Scoring etabliert und zu einem allgemeingültigen Branchenstandard auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Entwicklung wird, ist die Zusammenarbeit aller Marktteilnehmer notwendig.
Fazit: Nachhaltigkeit ist Antrieb für Weiterentwicklung der Immobilienbranche
Die Immobilienbranche verfügt über ein erhebliches Aufholpotenzial auf dem Weg zur Klimaneutralität und beim Vorantreiben von Nachhaltigkeit in der gesamten Breite der ESG- Kriterien. Aufgrund der Klimaziele, der begrenzten Verfügbarkeit von Ressourcen und auch aufgrund der zunehmenden Regulierung hat die Branche auch gar keine andere Wahl, sich Innovationen bei Bauprozessen und neuen Materialien zu öffnen sowie durch europaweite Kollaboration einen marktfähigen Branchenstandard für vergleichbare und aussagekräftige Immobiliendaten anzuschieben. Dies sollte als eine große Chance gesehen werden, sich und die gesamte Branche nachhaltig weiterzuentwickeln und zukunftsfähig aufzustellen.
Giulia Peretti, Nachhaltigkeitsbeauftragte Real I.S. AG
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